Die Utopie einer „nachhaltigen Herrschaft“

Impuls im aki Zürich am 27. September 2012 zum Semesterthema «Nur geträumt?» in der Reihe «I have a dream».

Bevor ich über eine umwerfende Utopie rede, auf dass ihr mir alle nachfolgen werdet um diese wahr werden zu lassen, möchte ich doch kurz einen Blick auf die Bibelstelle werfen, die wir gerade gelesen haben.

Genesis 1 ist ein Klassiker aus der Bibel. Die meisten von euch werden die Stelle sicher schon einmal gelesen haben. Oder zumindest diejenigen, welche schon einmal versucht haben, die Bibel von Anfang bis Ende durchzulesen…

Ich möchte eure Aufmerksamkeit auf Vers 28 lenken. Dort heisst es: „[…] Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.“ Daraus kann man, etwas salopp gesagt, zwei „Aufträge“ für die Menschen ableiten, die Gott uns erteilt: Vermehren! Und: Herrschen!

Lasst uns einen kleinen Blick in die Geschichte werfen, um zu schauen, wie wir diese mittlerweile schon einige tausend Jahre alten Gebote erfüllt haben, und zwar aus dem Blickwinkel der Länder mit christlicher Tradition, vor allem europäischen Ursprungs.

Die Bevölkerungen dieser Länder haben seit Christi Geburt erstaunliche Zuwachsraten zu verzeichnen gehabt. Als die Technologien, vor allem in Bezug auf die Mobilität, weit genug fortgeschritten waren, wurden auch weitere Kontinente erschlossen und bevölkert, einigen bekannt unter dem Begriff Kolonialismus. Diese Expansion fusste auf dem Verbrauch aller verfügbaren natürlichen Ressourcen, die letzten grossen Urwälder Europas wurden wahrscheinlich im Mittelalter gerodet. Auch alle dem Menschen gefährlichen Säugetiere, wie Wolf und Bär, wurden ausgerottet oder soweit zurück gedrängt, dass sie keinerlei Bedrohung mehr darstellten. Mit Beginn der Industrialisierung wurden die Möglichkeiten des Ressourcenkonsums exponentiell erhöht.

Nun könnte man mit ein wenig Zynismus sagen: Mission complete! Auftrag ausgeführt! Die Erde ist vollständig „erschlossen“ und die Menschheit hat sich, bis auf wenige Gebiete wie die Pole und die Tiefen des Meeres, die gesamte Schöpfung zu ihrem Nutzen Untertan gemacht.

Die Frage ist aber: Welche Art von Herrschaft haben wir gelebt?

Bei dem geschichtlichen Rückblick, welchen ich gerade gewagt habe, zeigt sich ein Bild der Herrschenden, welches viele Züge der Tyrannei trägt: Es handelt sich um eine Gewaltherrschaft, in der die Herrschenden ihre Untergebenen zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Diese Willkürherrschaft kann aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten zwischen Mensch und dem Rest der Schöpfung überhaupt erst entstehen. Kritik in dieser Art wird häufig an die Länder christlicher Tradition herangetragen.

Aber ist dieser Begriff von Herrschaft auch in der Bibel so dargestellt, oder hat Genesis 1 nur als Vorwand herhalten müssen? Es gibt zahlreiche Anhaltspunkte, dass diese Art von Herrschaft in der Bibel nicht gemeint ist. Als ein Beispiel möchte ich Psalm 72 heranziehen. Dort wird beschrieben, wie die Herrschaft eines Königs aussehen soll:“ Denn er rettet den Gebeugten, der um Hilfe schreit, den Armen und den, der keinen Helfer hat. Er erbarmt sich des Gebeugten und Schwachen, er rettet das Leben der Armen. Von Unterdrückung und Gewalttat befreit er sie, ihr Blut ist in seinen Augen kostbar.“ (Psalm 72, 12-14). Diese Aussage steht in krassen Kontrast zum eben gezeichneten Bild von Herrschaft. Der Mensch ist also ein gütiger Herrscher, der sich um die Armen und Benachteiligten kümmert. Auf den Rest der Schöpfung übertragen bedeutet dies: Der Mensch ist Statthalter Gottes auf Erden und nicht ein Trittbrettfahrer, der nur auf seinen persönlichen Nutzen aus ist. Diese Verhalten ist allenfalls Missbrauch der von Gott gegeben Freiheit. Der Mensch ist vor allem in Verantwortung der Schöpfung gegenüber. Er soll sich um sie kümmern, nicht sie ausbeuten.

Was sind aber die Konsequenzen aus dieser Feststellung für uns junge Christen zu Beginn des 21. Jahrhunderts? (- und dort beginnt vielleicht schon meine Utopie -)

Zunächst müssen wir uns bewusst werden, unter welchen Umständen wir leben. Wir sind alle in diese Welt hinein geboren und haben viele Handlungsmuster einfach von den vorherigen Generationen übernommen. Wichtig ist, uns von diesen Gewohnheiten zu emanzipieren und unsere Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Das ist zugleich der schwierigste Schritt, denn wir sind Teil einer Gesellschaft, welche seit einigen hundert Jahren nicht mehr in der Lage ist, nachhaltig mit ihren Lebensgrundlagen umzugehen.

Anschliessend gilt es, die identifizierten Probleme anzugehen. Diese betreffen alle Bereiche des Lebens, in einer durch die Doktrin der Ökonomie geprägten Gesellschaft könnte es beispielsweise auf die Fragen hinauslaufen: Was und wie kaufe ich ein? Wo und unter welchen Bedingungen werden die Produkte hergestellt? Brauche ich das wirklich? Wie kann ich das Zusammenleben mit meinen Mitmenschen gestalten? Gerade als Christen sollten wir uns bewusst werden, dass im Konsum nicht der Sinn und die Erfüllung des Lebens liegen kann! Die Lebensziele unserer Eltern können und werden nicht mehr die unseren sein. Das erstrebenswerte wird also nicht mehr darin liegen, ein Haus im Grünen zu haben, samt schickem, gut motorisiertem Wagen und den Sommerurlaub per Flugzeug an exotischen Destinationen zu verbringen. Um diese materiellen Ziele zu erreichen, ist man mit einer Erwerbsarbeit beschäftigt, die den wenigsten eine Freude bereitet. Gerade als Christen müssen wir uns wieder bewusst werden, dass ein erfülltes Leben in der Gemeinschaft mit anderen Menschen gefunden werden kann und nicht in einem neuen Sportwagen.

Wenn ihr euch jetzt denkt „Warum sollte ich auf diese ganzen Dinge verzichten und ein mühseliges, entbehrungsreiches Leben führen? Das kann es ja wohl auch nicht sein!“, dann muss ich euch sagen: Ihr denkt noch zu stark in den konsumistischen Mustern, welche uns Zeit unseres Lebens geprägt haben!

Wichtig: Es handelt sich nicht um „Verzicht“! Es geht nicht um eine neue Form der Askese, sondern im Gegenteil um eine Bereicherung des Lebens. Wir werden feststellen, dass beim Konsum weniger mehr ist und wir gleichzeitig in Einklang mit der Schöpfung leben können. Verzichten kann man nur, wenn man ein Verlangen oder Bedürfnis danach etwas hat. Viele unserer heutigen „Bedürfnisse“ sind aber von aussen an uns heran getragen und dienen eher den Profitinteressen anderer als uns selbst.

Bereits heute gibt es zahlreiche gute Ansätze, wie sich solche neue Lebensweisen ausdrücken können. Hier zwei kleine Beispiele: Im Bereich des nachhaltigen Konsums sind schon viele gute Initiatien aktiv. Als Beispiel sei der „Veggi-Day“ genannt. Es wird in den Mensen und Kantinen ein fleischfreier Donnerstag eingeführt, um den Leuten gutes vegetarisches Essen schmackhaft zu machen und den Fleischkonsum zu reduzieren .In Zürich starten in Kürze zwei spannende Projekte, Kalbreite (www.kalkbreite.net) und das Areal Hunziker (www.hunzikerareal.ch), in denen genossenschaftliches Wohnen neu gedacht wird. Dort wird einigen gesellschaftlichen Trends der vergangenen Jahrzehnte gezielt etwas entgegen gesetzt. Menschen werden in neuer Form zusammengebracht, der Ressourcenverbrauch verringert werden. Es liessen sich hunderte weitere gute Beispiele finden. In solchen Projekten müssen wir aktiv werden respektive selbst welche Gründen!

Wir dürfen uns aber nicht als elitären, christlichen Haufen betrachten, sondern durch unser Beispiel andere Leute in der säkularisierten Gesellschaft von diesem Wandel überzeugen. Ich denke hier an das Gleichnis des Sauerteigs, der mit der Zeit das ganze Mehl durchsäuert (Lk13, 21). Und wir sollten uns als Sauerteig nicht für etwas besseres halten als das Mehl… Denn es gebietet die Nächstenliebe, dass wir uns gerade mit jenen solidarisieren, denen wir nicht wohl gesonnen sind. Und auch die von mir kritisierten älteren Generationen müssen wir in diesen Prozess einbinden! Nur durch ein Vorleben können wir unsere Lebensentwürfe glaubhaft vertreten und andere Menschen dafür gewinnen, sich uns anzuschliessen.

Am Ende dieser Entwicklung werden wir in einer nachhaltigen Gesellschaft leben, die sich an ihre Umwelt anpasst, nicht umgekehrt. Das Geld wird wieder auf seine Funktion als Tauschmittel für die Menschen reduziert und nicht selber das Mass aller Dinge sein. Wir werden zu neuen und alten genossenschaftlichen Wirtschaftsmodellen finden, die ein Auskommen sicherstellen ohne sich in Profitgier zu verlieren. Die Solidarität mit unserem Nächsten und mit der Schöpfung wird eine bedeutende Rolle einnehmen und nicht unser Arbeitseinsatz in börsennotierten Unternehmen.

Was habe ich versucht, euch schmackhaft zu machen? Es geht um einen tief greifenden Wandel in unserer Gesellschaft, den wir als junge Christen initiieren und mitgestalten. Dazu müssen wir bei uns selbst anfangen und uns kritisch hinterfragen. Es gilt neue Lebensentwürfe zu entwickeln und alte wieder zuentdecken. Mit diesen Entwürfen werden wir uns dann mit voller Wucht in die Wogen der Realität – und der Kritik unserer Mitmenschen werfen!

Und wie anfangen? Paulus hat es in seinem Brief an die Epheser auf die folgende Weise ausgedrückt: „Darum achtet genau auf eure Lebensweise! Lebt nicht wie Unwissende, sondern wie Menschen, die wissen, worauf es ankommt.“ (Eph 5,15; Gute Nachricht)

Zum Weiterlesen

  • „Solidarität mit der ganzen Schöpfung“, Brief aus Taizé Nr. 275, Ateliers et Presses de Taizé 2012.
  • „Für einen globalen Bund in Solidarität und Nachhaltigkeit “, Positionspapier der Initiative 2 °C des Cusanuswerks zur UN-Klimakonferenz in Kopenhagen, http://www.cusanus.net/initiativen/ini-2grad/archiv/positionspapier/ .
  • „Klimawandel und Gerechtigkeit. Eine Ethik der Nachhaltigkeit in christlicher Perspektive“, Andreas Lienkamp, Verlag Schöningh 2009.

Schreibe einen Kommentar